Geschichten aus der Business Class:

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!


Sein Fahrer ist heute krank und Zimmermann fährt selbst durch den dichten morgendlichen Verkehr. Die Agenda für den heutigen Tag sieht schon am frühen Morgen aufreibend aus. Es ist klar, so kann es nicht weitergehen. Die Zahlen sind schon seit Jahren schlecht und so wie es derzeit läuft, werden sie auch nicht besser, jedenfalls nicht von selbst. Unangenehm ist, dass sich heute im Managementmeeting wieder alle Blicke auf ihn richten werden. Sie werden wieder einmal von ihm die entscheidenden Worte erwarten, die Impulse, die wichtigen und richtigen Signale. Alle, die um den Tisch sitzen, haben eine klare Vorstellung davon, in welchen Bereichen Veränderungen notwendig sein werden. Allerdings haben diese Vorstellungen nur geringe Schnittmengen und vor allem betreffen sie fast durchgängig die jeweils anderen Bereiche. Sie werden aufmerksam zuhören und man wird über die Lage diskutieren. Alle werden sich wieder einig sein, dass es anders werden muss. Aber selbst dieser Minimalkonsens wird wieder nicht lange halten, denn beim Verlassen des Meetings würden sie mit leisen Stimmen ihre Bedenken nochmals bedenken und sorgenvoll ihren Kollegen mitteilen. Sie würden ihre Köpfe schütteln und Zimmermanns richtungsweisende Impulse, die er mit der für ihn typischen Diplomatie vorgetragen hat, zerreden. Das ist das Ritual. Aber für Zimmermann ist klar, Veränderung ist unausweichlich. Nur, wenn er ehrlich zu sich selbst ist: Er hat auch keinen Plan. Die Standardsprüche wie „Stillstand ist Rückschritt“ kennt er natürlich und die vielen Workshops und Trainings über Changemanagement mit den vielen Managementgurus haben durchaus Spuren bei ihm hinterlassen. Auch sein gesamtes Managementteam bei diesen Veranstaltungen dabei gewesen – und trotzdem tut sich nichts. Auch die Trainer und Gurus kochen eben nur mit Wasser. 
Wie jeden Morgen geht Zimmermann in sein Büro, lässt sich von Frau Richter seinen Kaffee, die guatemaltekische Mischung mit dem Extra-€ für die Bauern, mit ein bisschen Milch und einem Stück Zucker bringen. Die drei Tageszeitungen liegen in der richtigen Reihenfolge bereit. Die erste Moods des Tages kann er ungestört rauchen, denn vor zehn Uhr lässt Frau Richter ohnehin niemand zu ihm vor. Er hat noch eine richtige Sekretärin und keine persönliche Assistentin mit akademischer Ausbildung. Frau Richter kennt seine Routine und weiß, dass er sie braucht, um gut zu funktionieren. Das schließt beide ein - die Routine und sie selbst.  Zimmermann wird nach den Zeitungen die Post und die Unterschriftsmappen durchgehen, die Frau Richter vorbereitet hat. Dabei werden sich wahrscheinlich Rückfragen ergeben, um deren Beantwortung durch die Bereichsleiter sich Frau Richter kümmern wird. Direkte Rückfragen per Telefon würden Zimmermanns routinierten Arbeitsfluss nur unterbrechen und seine Aufmerksamkeit auf immer wieder andere Themen lenken. Nur wenn er in Ruhe und konzentriert arbeiten kann, ist Zimmermann richtig gut. 
Aber mit Keller wird er selbst reden müssen. Keller kann sich mit der neuen Turbinentechnologie nicht anfreunden. Da wird er ein Zeichen setzen müssen. Keller ist einfach zu eingefahren. Es ist ihm zu unbequem, sich mit der neuen Technik auseinanderzusetzen. Zimmermann vermutet zudem, dass Keller sich vor allem davor scheut, sich mit seinen Mitarbeitern anzulegen. Die sind noch resistenter gegen Veränderung. Aber gut, da wird Keller nichts anderes übrigbleiben: Sie müssen sich der Veränderung stellen. Wenn Keller sich jetzt nicht in Bewegung setzt, wird es für Zimmermann selbst unbequem werden, und da gilt eben: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Genau das würde er Keller noch einmal mit auf den Weg geben. Er hat nichts persönlich gegen Keller, aber wenn diese Turbinengeschichte nicht bald aufs richtige Gleis kommt, würde es für ihn selbst unbequem werden. Und das kann er jetzt gerade sicher nicht brauchen - sonst gerne, aber nicht jetzt! 
Zimmermann wendet sich wieder seinen Zeitungen, seinem guatemaltekischen Kaffee und seinem Moods-Zigarillo zu.