Geschichten aus der Business Class:

Das Geld wächst nicht auf den Bäumen


Etwas zu schnell schiebt Zauner die Kaffeetasse zur Seite, so dass die Tasse auf dem Besprechungstisch ein leichtes Fußbad nimmt. Die Besprechung verläuft nicht nach seinem Geschmack. Die zugesagte zusätzliche Schneidemaschine würde nun doch nicht bis Juli geliefert werden. Das heißt, dass sie den Polenauftrag in der eingeplanten Menge nicht stemmen würden. Das wird teuer, überschlägt Zauner blitzschnell im Kopf und damit ist auch der Umsatz dieses Megaauftrags aus Warschau perdu. Solange werden die Polen nicht warten und wahrscheinlich den ganzen Auftrag stornieren. Mindestens eine saftige Vertragsstrafe wird fällig werden. Die komfortable Marge aus diesem Auftrag ist für den dritten Bauabschnitt des neuen Produktions- und Logistikcenters eingeplant. Zumindest die Bank wird den Umsatz beim nächsten Statusgespräch sehen wollen. Seit sie bei der Finanzierung des Neubaus erstmals richtig zum Zug gekommen ist, will die Bank auch mitreden. Das ist noch deutlich einfacher gewesen, als die Bank nur die Girokonten verwaltet hat. Er nestelt etwas verkrampft in seiner Tasche, will seine E-Zigarette aber nicht schon wieder herausholen. Zauner weiß genau, dass seine Marotte belächelt wird - nicht nur von seinen Kollegen, sondern auch von seinen Mitarbeitern. Wahrscheinlich wirkt es lächerlich, wenn einer der letzten Raucher-Dinosaurier an seiner Ersatzzigarette saugt und putzige kleine Dampfwölkchen ausstößt, die mit dem Rauchen einer richtigen Zigarette nichts mehr zu tun haben. Fruchtgeschmack, kein Rauch, kein Genuss mehr von Tabak – es geht nur noch darum, die Sucht zu leben? Er weiß genau, was die andern denken. Im Grunde denkt er das von sich selbst auch. Das macht es nur noch schlimmer. Er ist der Chef und hat sich nicht im Griff. Immer, wenn es schwierig wird, muss er nuckeln. Früher, wenn eine Verhandlung stockte, gingen ein paar Männer auf die Terrasse hinaus, nur selten waren Frauen dabei. Gemeinsam rauchte die Männerrunde genüsslich ein paar Zigarillos miteinander und diskutierte und verhandelte unter den Rauchwölkchen weiter. Oft waren sie sich einig, wenn sie wieder hereinkamen. Aber das gibt es so nicht mehr.  Ohne noch einmal darüber nachzudenken, holt er seine E-Zigarette aus der Tasche, zieht ein paar Mal daran, stößt ein paar süßliche, nach Apfel duftende Wölkchen aus und steckt sie wieder ein. Kübler, sein Einkaufsleiter, sieht kurz zu ihm herüber. Der Blick sagt nichts Gutes, aber Zauner kann nicht einordnen, was genau Kübler meint. Wahrscheinlich bedeutet es, dass Zauner die Kastanien wieder selbst aus dem Feuer holen muss. Dazu ist er dann wieder gut genug. Er weiß, seine Kollegen belächeln seine fast schon sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit und halten ihn in mehrfacher Hinsicht eben für einen der letzten Dinosaurier, die im Wirtschaftsleben inzwischen selten sind. Kübler ist gegenüber dem Lieferanten der Schneidemaschine schon bei den Kaufvertragsverhandlungen zu großzügig gewesen. Und jetzt ist er es wieder. Der verhandelte Rabatt hätte höher sein können und für die Terminverzögerungen sind keine ordentlichen Konventionalstrafen verhandelt worden. Das kann man leicht ausrechnen, wie viel Tonnen Folie verkauft werden müssen, um dieses Versäumnis wieder auszugleichen. Kübler ist nicht aus dem richtigen Holz für diesen Job. Zauner hat es geahnt, aber einer der Beiräte hat ihm Kübler ans Herz gelegt, da konnte er nicht anders, weil in dieser Sitzung auch der Neubau verabschiedet werden sollte. Und der ist Zauner nun wiederum eine Herzensangelegenheit. Das wird das letzte große Projekt seiner Karriere werden. Aber gut – jetzt muss er erst einmal Kübler auf die Spur bringen und mit Schön, dem Vertriebsleiter von CUT EX, klarkommen. Dass sie diese Terminverschiebung der Schneidemaschine nicht alleine ausbaden würden, das weiß Schön auch. Das Geld wächst ja schließlich nicht auf den Bäumen.