Geschichten aus der Business Class:
Dabei hat er doch nur versucht, es allen recht zu machen - vor allem sich selbst
König ist der Liebe wegen ins Obergau gezogen, sicher nicht, weil es ein Karrieresprung ist, die Filiale der AVG in Karlsberg zu leiten. In seine inzwischen dritte Ehe setzt er hohe Erwartungen. An sie glaubt er – zum ersten Mal in der Reihe seiner verschiedenen Versuche. Seine Frau ist als IT-Expertin sehr gefragt und konnte sich die beruflichen Angebote aussuchen. Deshalb ist er nach Karlsberg nachgekommen. Dass sie sich ihn ausgesucht hat, kann er sich noch immer nicht erklären. Da ist er sich gegenüber ehrlich. Aber vielleicht würde er es ja noch herausfinden. Allerdings hat er diesen Gedanken auch schnell wieder aus den Augen verloren, denn sein beruflicher Start in Karlsberg ist eher unglücklich verlaufen. Er hat sich das Ganze anders vorgestellt. Zwar könnte er aus dem Stehgreif nicht genau erklären wie er es sich vorgestellt hat, aber anders eben. Vor allem hat er nicht bedacht, dass in seinem Team bei der AVG in Karlsberg hauptsächlich Frauen tätig sind. Das ist er so nicht gewohnt und hat nicht erwartet, dass es tatsächlich so schwierig sein würde. Gut, er hat schon davon gehört, dass reine Frauenmannschaften schwierig seien. Aber bisher ist König davon ausgegangen, dass das eher Ammenmärchen seien und er das schon schaffen würde – muss er ja, schon seiner Frau wegen. Dass sich seine privaten Beziehungen zu Frauen fast immer krisenhaft entwickelten und er nicht unbedingt ein richtig gutes Händchen für Frauen hat, will König lieber nicht überdenken. Unter Männern jedenfalls ist er zuhause oder zumindest fällt er unter ihnen nicht besonders auf. In Karlsberg ist König in eine seltsame Gemengelage geraten: Auf der einen Seite eine Gruppe von Frauen, die sich einen permanenten Zickenkrieg liefert und auf der anderen Seite eine Clique einiger vom Leben enttäuschter Frauen. Und dann gibt es noch eine eher kleine Gruppe, die das Herz am rechten Fleck hat und richtig gut mitzieht. Genaugenommen hat König für keine dieser Gruppen ein Rezept, aber alle erwarten von ihm, dass er sie unterstützt und dass es irgendwie besser werden sollte als es bisher war. Richtig kompliziert wird es für König, weil sich die jeweiligen Freundschaften und Gewogenheiten auch noch ständig verändern. Immer, wenn er meint, das Beziehungsgeflecht durchschaut zu haben, hat sich schon wieder eine neue Gemengelage ergeben. Es ist zum Mäusemelken und König ist komplett irritiert. Er versucht es mal freundlich und geduldig und dann wieder direkt und fordernd. Das sei situativer Führungsstil, hat er gelernt. Leider scheinen die Situationen nur selten zu seinem gerade angewandten Führungsstil zu passen. Neuerdings hat sich König darauf verlegt, sich einzelne Verbündete zu suchen, denen er vertrauen kann. Vielleicht wird es ihm damit gelingen, diesen Flohzirkus zu bändigen. Bei der Suche nach Verbündeten scheint König allerdings kein besonders glückliches Händchen zu haben, denn entweder haben sie keine Akzeptanz bei den anderen Kolleginnen oder sie fallen ihm in den ungünstigsten Momenten in den Rücken. Von seinen wechselnden Vertrauten werden König widersprüchliche, aber insgesamt wenig ermutigende Äußerungen zugetragen. Er sei launisch bis bemüht freundlich, habe keine Ahnung vom Geschäft und würde meist nur miese Stimmung verbreiten. Andere meinen, er würde immer nur herumjammern oder sei sogar rücksichtslos. Das trifft ihn nun ins Mark seines Selbstverständnisses und gleichzeitig werfen ihm andere wiederum in für ihn ungewohnt primitiver Wortwahl vor, er habe keinen Arsch in der Hose, sei ein falscher Softie oder sogar ein sich selbst bemitleidendes Mamakind. Diese ganzen Vorwürfe verwundern König umso mehr, als er sein heimisches Glück mit seiner dritten Frau immer noch kaum fassen kann. In dem ganzen beruflichen Schlamassel trifft es ihn deshalb unvermittelt und doppelt hart, als seine Frau ihm vorschlägt, eine Beziehungspause einzulegen. Und das kurz nachdem sie in ihr neues Haus eingezogen sind, dessen Bau allerdings hauptsächlich seine Frau neben ihrem beruflichen Engagement abgewickelt hat. Einen kurzen Moment lang erinnert sich König, dass sie ihm schon immer wieder signalisiert hat, dass er sich um dies und das kümmern solle. Aber diesen Gedanken kann er nicht lange verfolgen, denn seine Kraft ist bei der AVG gebunden. Eine Begründung hat sie ihm bisher noch nicht genannt, aber er hat auch sicherheitshalber nicht gefragt. Dabei versucht er doch nur, es allen recht zu machen - vor allem sich selbst.