Geschichten aus der Business Class:
Eigentlich hätte sie es doch ahnen müssen!
Wenn Hanser durch die Türe tritt, dann wird es dunkel im Raum. Empfindsamere Gemüter, die ihn nicht kennen, können seine Erscheinung auch als leichte Bedrohung wahrnehmen. Eine Körpergröße von fast zwei Metern und ein Gewicht von wahrscheinlich 120 kg lassen Hanser gewaltig erscheinen. Sogar Männern, die selbst nicht klein und schmächtig sind, flößt das Respekt ein, auch wenn Hanser, der an sich eher ernsthaft und in sich gekehrt daherkommt, fast immer ein freundliches Lächeln im Gesicht hat. Eigentlich sollte die regelmäßige Besprechung mit seinen Teamleiterinnen im Vertriebsinnendienst jeden Monat einmal stattfinden. Das hatte ihm die Vertriebstrainerin, die er selbst vor einiger Zeit angeheuert hatte, nachdrücklich ans Herz gelegt. Mit wenig Überzeugung hatte Hanser diese regelmäßigen Besprechungen angefangen und war anfangs immer froh, wenn es gute Gründe gab, diese Runden ausfallen zu lassen. Ohne mit der Wimper zu zucken, dauerte die Besprechung immer drei, manchmal sogar vier Stunden. Bei sechs Beteiligten kamen damit gleich drei Manntage zusammen. Den notwendigen Umsatz, den es brauchte, um diese Zeit zu amortisieren, hatte Hanser im Kopf für sich schon einmal überschlagen – zu viel. Theoretisch war ihm das alles klar. Man hätte immer die Monatszahlen der verschiedenen Teams durchsprechen können. Das hätte vielleicht den sportlichen Ehrgeiz angefacht. Und selbstverständlich gab es jeden Monat genügend andere Themen, die auftauchten und für alle relevant waren. In der Dienstagsrunde konnte man das alles gut aufgreifen. Mit der Zeit hatte es sich auch ganz gut eingependelt und Hanser hatte sogar Gefallen daran gefunden, denn diese Dienstagsrunden würden ihm vielleicht die Gelegenheit geben, auf elegante und für ihn unverfängliche Art die beiden schwächeren Teamleiterinnen auf die Spur zu bringen. Das wäre schön gewesen, aber die Rechnung ging irgendwie nicht auf. Cornelia Gaiser, die Teamleiterin aus dem Key-Account-Team, ist in hohem Maße effizienzorientiert, kennt sich hervorragend aus und hat bei ihren Mitarbeitern hohe Akzeptanz. Und sie weiß das auch, weshalb sie berechtigt selbstbewusst auch Einfluss auf das Geschehen nehmen möchte. Ursprünglich war es Cornelia Gaiser, die Hanser auch dazu gedrängt hatte, diese Dienstagsrunden zu starten. Inzwischen fühlte sie sich dort nicht mehr wohl. Es wurden immer wieder die gleichen Themen durchgekaut. Die Zahlen kannten sie ohnehin schon alle oder hätten sie zumindest kennen müssen. Sie standen in ihrem shared file immer aktuell zur Verfügung. Das Problem war nur, dass die beiden Teamleiterinnen, die es eigentlich bitter nötig gehabt hätten, dort nicht reinschauten. Sicherheitshalber. Das lag so offensichtlich auf der Hand, dass sie sich wunderte, dass Hanser so geduldig war. Außerdem arbeitete jedes Team auf seine ihm eigene Art obwohl sie alle die gleichen Tools nutzten – allerdings unterschiedlich effizient und jede Kollegin machte ihre eigenen „Schleifchen“. Das war wenig hilfreich, um die Vorgänge auch für andere nachvollziehbar zu machen und ließ auch jeden Umweg zu, der die Prozesse oft unnötig umständlich machte. Und da saß Hanser immer da und richtete seine Appelle an alle. Das machte sie mürbe, weil sie sich betroffen fühlte und es in ihr schrie: „Aber wir machen das doch schon!!! Sag es zu denen, die du meinst!!!“ Aber sie wollte die Beiden und auch Hanser nicht bloßstellen. Es war sein Job, da für Klarheit zu sorgen. Warum nahm er die beiden anderen nicht in Einzelgesprächen auf die Seite und sagte ihnen klipp und klar, was er von ihnen wollte. Das war doch mit Händen zu greifen, dass er in der Dienstagsrunde wie gegen eine Wand sprach. Für die guten Teams war es zermürbend und die, die gemeint waren, hörten die Botschaft wohl nicht oder warteten auf etwas Unbestimmtes. Jedenfalls ging nichts vorwärts. Als Gaiser das Handtuch warf und zur gut aufgestellten Konkurrenz ging, war Hanser vollkommen überrascht, geradezu entsetzt. Sein Plan war eigentlich gewesen, Gaiser zur Koordinatorin für alle Teams zu machen, weil sie wirklich den Blick fürs Wesentliche hatte und es einfach draufhatte. Aber auch davon hatte er Gaiser nichts gesagt. Den richtigen Moment hatte er noch nicht erwischt – und eigentlich: Wenn Sie wirklich gut wäre, hätte sie es doch ahnen müssen, meint Hanser.