Geschichten aus der Business Class

Sohler und sein neuer Freund


 

Mit den Händen in der Hosentasche steht Sohler am Fenster seines Büros. Er hört nichts außer dem leisen Plätschern seines Zimmerbrunnens. Als feinsinniger Mensch, so sieht er sich, lässt er sich gerne inspirieren von der schönen Umgebung, in der er arbeitet. Er ist eben nicht nur Manager, sondern auch Schöngeist. Sohler hat jetzt lange mit dem Blick über die Bäume und den großen Teich hinweg überlegt und er sieht keinen anderen Ausweg. Seine Gedankenkette ist logisch und lückenlos. Sohler hat alle Bereiche klar strukturiert – im Prinzip wie die Allee zu seiner Rechten. Fast militärisch präzise ist die Perfektion der Aufgabenzuordnungen. Ohne den Blick von seiner schönen Aussicht zu nehmen, geht er langsam an seiner Fenstergalerie entlang. Der Bereich „Zentrale Entwicklung“ ist so aufgestellt, dass das Organigramm eine fast schon anmutige Schönheit ausstrahlt. Nach seinem Dafürhalten können daraus im Ergebnis nur perfekte Produkte hervorgehen. 

Nur Korthe stört Sohlers Freude an der Ästhetik seiner Organisation beträchtlich und das wurmt ihn. Aus seiner Sicht passt Korthe nicht in dieses Bild. Er ist kein wirklich guter Ingenieur, ist faul, ungepflegt, dicklich und unzuverlässig und er ist lästiger Weise im letzten Jahr auch noch in den Betriebsrat gewählt worden. Korthe stört Sohlers ästhetisches Empfinden und vor allem fordert er ihn immer wieder auf eine Art heraus, für die Sohler kein Rezept hat. Korthe ist plump, kantig, laut, direkt und unverblümt. Diesen Betriebsmodus kann Sohler nicht und er kann es auch nicht ausstehen. Aber Korthe hat, vielleicht gerade deshalb, seinen Fanclub unter den Kollegen.  

Sohler ist auf so vielen Managementtrainings gewesen, aber auch dort hat er kein Rezept für die Korthes dieser Arbeitswelt bekommen - jedenfalls keines, das zu seinem ingenieursmäßigen Weltbild passt. Das wiederum wundert Sohler nicht, denn wie sollten auch die Denkmodelle und Ansätze der Psychologen und Sozpäds seinen Einsichten und Perspektiven intellektuell gewachsen sein – ja, wie sollten sie auch? Er hat immer noch die Hände in den Hosentaschen, wandert aber schon nicht mehr so gelassen an seiner Fenstergalerie entlang. Korthe muss weg, das ist ihm jetzt klar. Sohler ist schneller geworden und dreht vor der Wand abrupt wieder um. Aber den Dreh wie er Korthe loswerden würde, den hat er noch nicht heraus.   

Verhalten klopft es an seiner Tür und Sohler unterbricht sein inzwischen unruhiges Hin- und Hergehen. Es ist Gruber, der neue Leiter der Anwendungsbetreuung. Sie haben zwar keinen Termin, aber Sohler wird ihn schon noch in die Gepflogenheiten einweihen. Aber das spielt jetzt gerade keine Rolle. Vielleicht ist es die abrupte Unterbrechung seiner Wanderung entlang der Fenstergalerie, die ihn auf eine Idee bringt. 

„Nehmen Sie Platz, mein Lieber, am besten hier, dann haben Sie die Aussicht aus dem Fenster. Kaffee oder lieber ein Wasser?“ Während Gruber seinen Kaffee mit viel Zucker und viel Milch versorgt, schaut Sohler mit leicht zusammengekniffenen Augen auf den Zimmerbrunnen neben seiner Sitzecke. Seine Idee nimmt eine konkrete Form an und wird ein Plan – ein guter Plan. Er platzt fast vor Stolz auf seine geniale Idee. „Auf gute Zusammenarbeit,“ nickte er zu Gruber hinüber. Er würde Korthe diskret seinem neuen Freund Gruber als erfahrenen Mitarbeiter und kompetente Verstärkung schmackhaft machen. Und der würde so ein „Kaliber“ mit einer besten Empfehlung von Sohler mit Handkuss nehmen. Hoffentlich – Hauptsache Korthe geht ihm aus den Augen!